Kinder leben wie noch in einer anderen Welt. Diese ihre Welt lässt sich als eine reine Farben- und Klangwelt beschreiben. Es ist eine reine Empfindungswelt in der sie die ersten Jahre leben. Alles um das kleine Kind herum ist wie ein Meer von Empfindungen und Eindrücken, die es zu verarbeiten gilt.
Weil das Kind noch anders wahrnimmt als erwachsene Menschen ist es wichtig, dass wir uns auf sie und ihre Welt einlassen. Ihnen altersentsprechend begegnen, um sie nicht zu überfordern. Das bedeutet, dass wir dem kleinen Kind nicht mit Erklärungen begegnen sondern ihm innere Bilder schenken. Denn diese können die kleinen Kinder nachempfinden und wirklich verstehen.
Ein großer Begleiter in der Erziehung können Märchen sein sie sind etwas ganz besonderes für Kinder, denn sie sprechen die Sprache des Kindes und erschaffen innere Bilder. Märchen finden wie in einem besonderen Raum statt. Märchen vorgelesen zu bekommen hüllt das Kind und den Vorlesenden ein.
In allen Märchen wird die innere Moral des Menschen angesprochen, oft ist Erlösung von Natur, von Menschen, von Tieren ein Thema. So bilden und stärken Märchen die Gemütskräfte des Kindes, weil die Bilder im Märchen die Seele des Kindes ansprechen. Diese im Kind selbst entstandenen Bilder sind wachstumsfähig, sie erschöpfen sich niemals weil sie menschheitsgeschichtliche Elemente in sich tragen, die auch morgen noch gelten.
Ein weiterer Aspekt ist die feine Sprache der Märchen, mit denen die Kinder durch das Vorlesen in Berührung kommen. Gleichzeitig fördert es die Aufmerksamkeit des Kindes auf besondere und nachhaltige Weise.
Das gemeinsame Lesen eines Märchens ist zudem sehr verbindend und ist ein schönes Seelenwärmendes Ritual für alle Beteiligten.
Dem Erwachsenen geben die Urbilder aus den Märchen Kraft, auch für ihn ist es Nahrung für die Seele und nährt das innere Kind. Durch das bildhafte Sprechen gelingt auch Gesundheitsförderung, denn solche Bilder belasten das Gehirn nicht. Die Ruhe des Erzählflusses hilft gegen Alltagshektik.
Was die meisten guten Märchen und Geschichten gemeinsam haben ist, dass viel passiert- es gibt dramatische und spannende Wendungen, bei denen die Kinder mitfiebern. Außerdem regen Inhalt sowie die Sprache die Fantasie und inneren Bilder der Kinder an. Trotz all dieser Spannung und oft auch Tragik oder Grausamkeit in der Handlung lieben Kinder Märchen und nicht die Angst steht im Vordergrund sondern Mut, Freude, positive Spannung und der Glaube an etwas, dass mehr ist - mehr als wir sehen und wahrnehmen können, mehr als wir verstehen. Das liegt daran, dass bei jedem guten Märchen die Grundstimmung herrscht: “Alles wird gut!” Es passieren gefährliche Dinge, es gibt viel Böses- aber am Ende wird alles immer gut! Dies spüren und übernehmen die Kinder und da sie ja mit ihrer Fantasie noch so eintauchen in die Inhalte und sich in sie vertiefen überträgt sich dies auch auf ihr eigenes Leben. Sie nehmen damit viel Wichtiges mit und lernen, dass es immer Höhen und Tiefen gibt im Leben, dass Angriffe von außen kommen, dass nicht jeder gut ist usw.- aber sie wissen, dass man es schaffen kann. Deshalb wurden Märchen auch über Jahrhunderte überliefert und weitergegeben- sie sind nicht bloß irgendwelche ausgedachten Geschichten sondern wurden schon früher erzählt, um den Menschen Mut zu machen und die Angst zu besiegen, um Wahrbilder zu verdeutlichen und die Stärken aus den Menschen herauszuholen. Die Erwachsenen erzählten sich die Märchen von Generation zu Generation und egal in welcher Kultur oder auf welchem Kontinent - die Inhalte sind sich immer sehr ähnlich. Das Böse verliert obwohl es zuerst viel stärker wirkte, das Gute gewinnt obwohl es am Anfang keine Chance zu haben schien und aus den Kleinsten und Schwächsten werden Helden mit denen man sich identifizieren kann.
Genau aus diesem Grund können uns Märchen auch während der Corona- Krise weiterhelfen und den Kindern zeigen, dass schwierige Zeiten immer irgendwann enden und man den Mut und den Glauben an das Gute nie verlieren soll. Auch den Erwachsenen können die Märchen helfen.
Zu empfehlen sind z.B. die Märchen der Gebrüder Grimm und es ist gut, wenn sie sich ein neues Märchen immer erst alleine durchlesen und überlegen, ob ihr Kind schon alt genug dafür ist. Auch wichtig ist, dass sie beim Lesen auch ihre Stimme und ihren Tonfall achten-keine Dramatisierung machen, keine künstliche Spannung hineinbringen. Die Inhalte sind spannend genug und ihre Stimme sollte Ruhe und Sicherheit ausstrahlen und keinen Krimi erzählen. Versuchen sie, das Vorlesen zu einem gemütlichen Ritual werden zu lassen: immer zur selben Zeit, am selben Ort (z.B. im Bett oder auf dem Sofa) und evtl. mit demselben Essen oder Getränk dazu- z.B. ein warmer Tee oder Kakao. Im Winter können sie ihrem Kind dann noch eine Wärmflasche machen und sich gemeinsam unter eine Decke kuscheln. So stärken sie ihr Kind und ermöglichen ihm Momente, die es tief prägen können und ihm ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und sich Wohlfühlen vermitteln in einer turbulenten und unsicheren Zeit.
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